Meine Farben- deine Farben

Meine Farben – deine Farben

Farben sind optische Wellen. Und die entsprachen sich. So könnte ich es ganz nüchtern und neutral vorwegschicken. Als Erzählerin mag ich es gern anders. Persönlicher.

Wie? Eine Fliege ist doch keine Person. Und deine Kleidung auch nicht. So eine Spinnerei! So ein Humbug!

So mag jemand denken, der meine Erzählung gelesen hat. Aber das ist mir egal. Mein Anliegen beim Erzählen ist das Mitnehmen, das Vermitteln einer Freude, die ich empfunden habe, ein Anstupsen mit den Worten: Schau mal, was ich beobachtet habe. Komm mit bei einem genauen Blick auf die Phänomene des Lebens! Also … los!

Ich saß in einem Cafégarten und wartete auf eine kleine Mahlzeit, die ich in der Sonne zu mir nehmen wollte. Um mich herum rankte Weinlaub an einem Gerüst, die Blätterschatten spielten tänzelnd ihr optisches Sommerkonzert auf meiner Tischplatte.

Ich schaute an mir herunter. Mein T-Shirt leuchtete in Pink-Violett, die Strickjacke darüber strahlte in einem kalten Jadegrün, mein gestrickter Loop verlief lebendig in grünvioletten Abschnitten, die weich ineinanderflossen. Dunkelblau wie der Nachthimmel boten meine Jeans der aurorischen Farborgel einen ruhigen Hintergrund. Dazu trug ich eine Papierperlenkette am Hals, die ich mir aus einem Nordlichtkalender selbst hergestellt hatte. Auf meinem Silberring prangte ein Türkis, meine Schuhe waren dunkelviolett, meine Socken lila, dazu stand auf einem Stuhl meine selbstgenähte Stofftasche mit einer Applikation in Nordlichtfarben. Auch mein Augenmakeup hatte ich in Nordlichtfarben gestaltet – Blau, Grün, Violett.

Mein Essen wurde gebracht. Zu mir, „Rêvant-Uli“, der vom Nordlicht träumenden Uli. Revontuli ist das finnische Wort für das Nordlicht, das zur Erklärung meines Künstlernamens in Sachen Taschennähen erwähnt werden muss. Ich freute mich auf mein Toast mit dem Camembert, neben dem ein Klecks Preiselbeeren prangte.

Eine Fliege kam angeflogen. Sie war einer von diesen dicken Brummern, die man Schmeißfliege nennt. Ich wollte gerade die Hand abwehrend über den Käse halten, als ich bemerkte, dass sie gar kein Interesse daran hatte. Auch nicht an dem Preiselbeerklecks daneben.

Stattdessen fing sie an, um mich herumzufliegen. Immer wieder herum und herum. Dann kam eine zweite angeflogen. Hey, was soll das? schimpfte ich vor mich hin, als noch eine dritte sich dazugesellte. Auch sie fixierte mich und nicht den Teller, dem sie nur einen kurzen Besuch abstattete, um es dann den anderen gleichzutun. Mehrmals spürte ich, wie mir eine der Fliegen durchs Haar lief, das ich mir an diesem Tag ein wenig strubbelig gefönt hatte.

Erst nach einer Weile schaute ich mir die wunderschönen Tierchen genauer an. Jedes schillerte anders. Eines leuchtete mehr in Grün, ein anderes blauviolett, eines war sogar schillernd dunkelblau. Ich war fasziniert von ihrer Schönheit. Hätten sie sich auf meinen in Aurorafarben schillerndbunten Brillenbügel gesetzt, wären sie getarnt gewesen.

ZUFALL???

© Ulrike Nikolai 13.09.2021