Geschichten,  Uta Herrmann

Märchenhafte Zustände

Ein neuer Weg

Es begab sich zu einer Zeit, als der große Regen die Lande überzog und viele Teile der Erde überschwemmte. Einige Tiere konnten aus ihrem Gefängnis fliehen, das die Menschen gebaut hatten, um sie anschauen zu können. Es begann eine Zeit, in der man wieder zusammen halten musste, um nicht unterzugehen. So kam es, das diese Tiere Zuflucht suchten und bald darauf  einen Hügel fanden, auf dem ein großer einladender Baum stand. Mächtig und majestätisch spreizte er seine Äste aus, auf dem viele Vögel Platz fanden. Auch eine sehr weise Eule fand in den Wipfeln ein ruhiges Plätzchen, um sich vor Wind und Wetter schützen zu können. Diese Eule wird in unserer Geschichte eine wichtige Rolle übernehmen, denn sie wird allen Tieren mit ihrer Weisheit und mit ihrem großen Herzen helfen können, einen wichtigen Entschluss zu fassen.

Das Wasser stieg durch den andauernden Regen immer höher und drohte, auch bald die Anhöhe des Baumes zu erreichen. Alle Tiere hatten noch ein wenig Zeit, um zu überlegen, was für sie das Beste wäre.

Es stieg langsam Panik auf. Einige große Tiere wollten das Wort an sich reißen und die Tiere anleiten, das zu tun, was sie wollten.

Es kam Streit auf. Jeder redetet auf einmal und man verstand letztendlich kein Wort mehr.

Ein lauter Schrei unterbrach das Durcheinander. Der Bär richtete sich auf und verschaffte sich somit Respekt und Ruhe.

Er sah in die verängstigten Augen der Tiere und seine Stimme wurde milder und sanfter. Der Bär schlug vor, dass es ein Tier geben solle, das weise genug sein würde, um die Situation richtig einschätzen zu können, ein Leitungstier  sozusagen, dem alle vertrauen konnten. Plötzlich schauten sie alle zu Eule hoch und riefen ihren Namen. „Eule“ riefen sie, „du kannst uns bestimmt mit deiner Weisheit helfen. Was meinst du? Was sollen wir tun?“

Der Löwe unterbrach plötzlich das Rufen. Er brüllte die Menge an und meinte, dass nur die Tapfersten dazu in der Lage seien, die Tiere anzuleiten.

Ein Streitgespräch brach wieder zwischen einigen Tieren auf.

Der Bär meinte, dass man nur mit Stärke leiten könne. Da widersprach der Hase, der meinte, mit Schnelligkeit käme man am besten voran. Der Fuchs schaltete sich ein und erklärte, dass man nur mit Schläue und Klugheit weiterkäme und der Tiger erhob seine Stimme und preiste seine Erfahrungen an. Er war der Überzeugung, dass man nur mit Tapferkeit weiterkommt.

Und wieder war es der Bär, der mit einem lauten Brüllen die Menge zum Schweigen brachte.

Er bot der Eule wieder das Wort an. Sie schaute auf alle Tiere hinunter und beschloss, sich auf Augenhöhe zu ihnen zu bewegen. Alle warteten auf ihre Worte.

„Ihr Lieben, ich sehe, dass einige unter euch Erfahrungen sammeln konnten und diese in bestimmten Situationen sicherlich sehr hilfreich waren. Doch sehe ich, dass ihr alle Recht habt, mit dem, was ihr sagt. Vereinen wir doch alles zusammen: Mut mit Schnelligkeit und klugen Schritten. Lasst uns einen Plan schmieden, der uns allen zu Gute kommt.“

Alle Tiere waren ratlos und schauten sich gegenseitig deprimiert an. Was sollten sie in einer scheinbar aussichtslosen Situation tun?

Auf einmal gab es einen Ruck mit großem Getöse; die Tiere erschraken und rannten durcheinander.

Wie von Geisterhand entstand ein großer Spalt im Baum und es tat sich ein unterirdischer Gang auf. Das Wasser hatte die Erde genügend aufgeweicht, damit sich dieser Spalt bilden konnte. Alle schauten neugierig in das vor ihnen liegende Loch, das durchaus ein Tunnel sein konnte.

Die Eule glaubte, dass riesige Würmer diesen Gang ausgehöhlt hatten und Maulwürfe und Mäuschen ihr Übriges getan hätten.

Die Eule meldete sich wieder zu Wort:

„Nun ihr Lieben, da scheint es ja jemand gut mit uns zu meinen. In dieser aussichtslosen Situation hat sich ein neuer Weg aufgetan. Auch wenn wir nicht wissen, wohin er uns führen wird, bietet er uns eine reelle Chance zum Überleben. Möchte jemand schauen, ob der Weg weiter geht oder ob es nur ein größeres Loch ist?“

Der Maulwurf meldete sich und wollte helfen. Ich bin zwar fast blind, aber ich kann doch die Vorhut bilden und weiterbuddeln, falls es nicht mehr weiter geht. Die Glühwürmchen boten sich an, mit ihrem Licht ein wenig Helligkeit in die Dunkelheit zu bringen.

Das ganze Gespräch wurde wieder jäh von einem großen Ruck der Erde unterbrochen. Man musste sich jetzt schnell entscheiden, was zu tun sei. Ohne vorherige Untersuchungen, ob der Tunnel lang genug sei und wohin er einen führen würde, wollten es die Tiere wagen, diesen unbekannten Weg einzuschlagen. Die mutigsten Tiere (Adler, Bär, Tiger) sollten vorgehen, um die anderen vor lauernden Gefahren schützen zu können. Und so kam es, dass ziemlich schnell alle Tiere in einer dunklen Höhle den Weg aus der Aussichtslosigkeit suchten.

Die Glühwürmchen konnten das Dunkel gut ausstrahlen, sodass die Angst vor dem Unbekannten nicht allzu groß sein musste. Es wurde manchen Tieren ein bisschen bange in der Enge des Tunnels, doch einige Tiere beruhigten die anderen mit einer Berührung oder einem lieben Wort. So ging es ein paar Stunden, bis die ersten Tiere nicht mehr weiterlaufen konnten.

Sie machten also eine kleine Pause und der Fuchs machte einen Vorschlag. Er meinte: „Lass doch die kleinen und schwachen Tiere auf den Rücken der großen Tiere krabbeln.“

Gleich darauf schrie der Tiger auf und meinte, er könne doch keine Mäuschen auf seinen Rücken lassen, das würde ihn bestimmt kitzeln.

Der Bär beruhigte ihn besänftigend: “Wenn dich die Mäuschen krabbeln, dann nehme ich sie auf meinen Rücken, lass uns einfach aufteilen, wer wem helfen kann. Aber lass uns nicht ewig diskutieren, wir wollen weiterlaufen, langsam bekomme ich auch Hunger.

Die Schmetterlinge flatterten unruhig umher. Sie hatten ein bisschen Angst, sich auf ein Tier zu setzen.

Die Nachtigall begann zu singen, weil sie befürchtete, dass es gleich wieder Streit geben würde und wollte mit ihrem Gesang die Gemüter besänftigen.

Sie tat Gutes, in dem sie ihr Gesang den anderen darbot, denn auf einmal wurde es wieder still und man spürte regelrecht, wie sich die Gemüter beruhigten. Die Angst vor dem Ungewissen hatten doch viele Tiere ergriffen und jetzt war es an der Zeit, für Zusammenhalt zu sorgen. Die Kleinen hatten Ehrfurcht vor den Großen und getrauten sich erst gar nicht, auf sie zuzugehen und zu fragen, ob sie ein Plätzchen zum Tragen bei ihnen finden könnten.

Durch das schöne Lied der Nachtigall lösten sich die Ängste ein wenig auf und Mut und Hoffnung stieg in vielen auf. Man konnte schon fast sagen, dass durch den Gesang und durch die Musik eine heitere Stimmung entstand. Viele Tiere lauschten einfach nur zu und andere summten ihr Lied mit.

Die Bienchen fingen an, den Tönen neue Tonfolgen zu schenken, es ergab ein schönes Klangbild. Jetzt ging alles recht schnell mit der Aufteilung der Helfertiere. Jedes kleine Tier fand sein Helfertier und so konnten alle ihren Weg weiter gehen. Durch das Lied der Nachtigall wurden einige der Tiere mutiger und sie sangen alte Lieder zusammen. Stück für Stück stiegen die Tiere ins Lied mit ein und am Schluss sangen und tönten alle mit.

Jetzt schien der Weg leichter zu gehen, die Stimmung unter den Tieren war heiter und gelassen und so kam es, dass sie bald ein großes Licht vor sich sahen. Das Ende des Tunnels war in Sicht. Viele Tiere freuten sich darüber, einige jedoch hatten ein wenig Angst vor dem Unbekannten.

In der Zwischenzeit hatte sich jedoch einiges verändert. Der Zusammenhalt und die Achtsamkeit für die anderen Tiere hatte sich positiv gewandelt. Anstatt Streitgespräche gab es eher einen guten Erfahrungsaustausch, die vorherige Rechthaberei wurde durch Einfühlsamkeit ersetzt. So kam es, dass richtige Freundschaften entstehen konnten. Jeder durfte so sein, wie er war, ohne deshalb verurteilt zu werden. Es war eine Zusammengehörigkeit entstanden, trotz großer Unterschiedlichkeit.

Nun bot sich ein Blick auf eine neue Welt mit einer wunderschönen Landschaft. Die Sonne erhellte alle Gesichter und es strömte warme gut riechende Luft zu allen. Sie hatten es geschafft. Gemeinsam.

Hier fanden sie eine neue Welt vor, voller Hoffnung auf ein freies und unbekümmertes Leben.

Nach einigen Gesprächen mit allen Tieren wurde dann einstimmig ein neues geltendes oberstes Gesetz beschlossen, an das sich alle Lebewesen zu halten hatten:

Frieden. Frieden halten mit sich selbst und den anderen.

Anmerkung der Eule: „Soweit mir bekannt ist, hat das bis jetzt auch gut geklappt. Ich bin sehr dankbar, dass wir es zusammen geschafft haben.

Nun wünsche ich euch Menschen, dass ihr auch in Notsituationen gute gemeinsame Lösungen findet und zusammen haltet- mit viel Spaß an der Musik durchs Leben gehen könnt und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken könnt. Ich glaube an euch! Ihr schafft das auch!“

ENDE einer tierisch guten Geschichte