Geschichten,  Silke Brünig

TeleBunden

Kaffee vom Lieblingsröster. Prima. Und jetzt das neue Eiscafé. Das mit der unschlagbar cremigen Pistaziensorte. Nehmen wir eine Kugel? Die Fußgängerzone ist belebt. Eine ältere Dame fällt mir auf. Sie erinnert mich an Christine. Wie alt mag die inzwischen sein? 75? 78? Christine hat mich viele Jahre begleitet. In meinen Dreißigern. Danach fing ich an zu spüren, wo ungefähr meine Mitte ist. Lange nicht mehr gesehen. Die Christine. Schade. Was sie wohl macht?

Es braucht ja nur Bruchteile von Sekunden für solche Gedankenfetzen. Oder etwa 15 m des Weges in der Fußgängerzone. Plötzlich steht sie vor uns. Christine. Hab sie mir herbei gedacht? Ich kann erst kaum sprechen vor Verwunderung. Dann vor Freude. Wir unterhalten uns angeregt 10 Minuten. Tauschen kurz aus, wohin uns unsere Leben inzwischen getragen haben. Die Freude bleibt, als wir uns trennen. Und die Verwunderung.

Schnitt. Was schenke ich ihr bloß? Meine liebe Freundin hat Geburtstag. Ach, ich gehe einfach in den Papierkontor. Das ist der kleine süße Laden, in dem man sich kaum drehen kann. Macht nichts. Da liegen die Schätze nebeneinander und übereinander. Sortiert und unsortiert. Briefpapier. Füller. Stifte. Lackbilder. Geschenkbögen. Schleifen. Hinstellchen. Einstäubchen. Kladden. Genau. Eine Kladde. Das wäre doch genau das Richtige. Warum nicht? Sie schreibt doch gern. Ach. Türkisblau. Ihre Lieblingsfarbe. In A5? Ob das groß genug ist? Gepunktet. Ideal für alles, was sie schreiben will. Nehme ich. So liebe ich das. Nicht lange überlegen. Wissen: das passt.

Eine Woche später. Es klingelt. Meine Freundin ruft an. Völlig von den Socken. Sie wäre ja heute extra in den renommierten Laden für Papier- und Malbedarf gefahren. Das ist der Laden, der mir immer zeigt, dass es keine Zeit gibt. Mindestens dort verfliegt sie sich ins Nichts.

Also. Sie wäre da extra hin gehetzt. Braucht eine Kladde für den Urlaub. Es gab nur liniert. Und nicht ihre Farbe. In der Not musste sie eine nehmen, die sie gar nicht wollte. Na ja. Und nun säße sie am Küchentisch. Hätte mein Päckchen gerade aufgemacht und genau die Kladde gefunden, die sie mit in den Urlaub nehmen will. Türkisblau, gepunktet, A5. Genauso eine sollte es sein. Woher ich das wusste, wollte sie nun von mir wissen.

Begebenheiten dieser Art häufen sich. Bei uns. Bei Freunden. In der Familie. Wir hatten diesen 6. oder 7. Sinn schon immer. Wir haben ihn alle. Aber nun drängt er sich mit Macht in unser Bewusstsein. Wir können telepathische Wahrnehmungen weiter als Zufälle abtun und damit negieren, dass es sie gibt. Oder wir lenken unsere Wahrnehmung noch deutlicher in diese Richtung. Bis wir irgendwann die Maschine zur Seite legen, die momentan unsere Kommunikation für unseren 5. Sinn hörbar macht. Das Handy.